Halb getrennt, halb vergeben, aber ganz auf der Suche

Zwischen toten Ehen, lebendigen Affären und dem Irrglauben, man könne alles gleichzeitig haben

In einer Zeit, in der Freiheit, Selbstverwirklichung und neue Beziehungsformen großgeschrieben werden, scheint ein Phänomen fast still und unbemerkt zu wachsen: Menschen, vor allem Männer, die zwar innerlich längst gegangen sind, aber äußerlich noch bleiben. Getrennt lebend, aber noch verheiratet. Emotional distanziert, aber rechtlich gebunden. Offen für neue Begegnungen, aber nicht wirklich frei.

Was bedeutet das für diejenigen, die ihnen begegnen? Für Beziehungen, die nicht aus einem klaren Neubeginn entstehen, sondern aus einem Zustand dazwischen? Für Frauen, die sich auf jemanden einlassen, der zwar sucht, aber nicht gelöst ist?

In meiner Praxis, aber auch im privaten Umfeld, begegnet mir diese Konstellation zunehmend häufig. Bevor wir über Lösungen sprechen können, braucht es ein ehrliches Hinschauen. Dieser Blogbeitrag lädt dazu ein.

Neulich beim Business-Lunch

Eigentlich sollte es ein sachliches Treffen werden. Wir sprachen über Kooperationen, Zielgruppen, Positionierung. Es war inspirierend, professionell. Doch irgendwann, mitten im zweiten Gang, öffnete sich mein Gegenüber und begann von seinem Privatleben zu erzählen.

Er sei „eigentlich getrennt lebend“, schon seit drei Jahren. Aber eben noch verheiratet. Eine offizielle Scheidung? Nein. Seine Frau habe große Existenzängste. Man habe sich „irgendwie arrangiert“. Außerdem habe er eine Beziehung zu einer anderen Frau, ebenfalls verheiratet. Die Beziehung sei anstrengend, unklar, unbefriedigend. Und ich? Ich saß ihm gegenüber. Offensichtlich eine neue Option?

Ich war perplex. Nicht, weil mir solche Geschichten neu sind. Sondern weil sie in letzter Zeit immer häufiger auftauchen.

Und ich frage mich: Was ist bloß mit den Männern los?

Die halbe Trennung – ein ganzes Problem

Immer wieder begegnen mir Männer, die formell verheiratet sind, emotional jedoch schon längst auf dem Absprung. Sie führen ein Leben zwischen den Stühlen.

Eine Ehefrau, mit der kaum noch Verbindung besteht.
Eine Affäre, die irgendwie das Feuer zurückbringen soll.
Und das Gefühl, trotzdem nicht richtig zu leben.

Was dabei oft übersehen wird: Diese Männer sind nicht frei. Weder innerlich noch rechtlich. Auch nicht energetisch.

Gleichzeitig wünschen sie sich Nähe, neue Liebe, eine Frau, die sie wirklich versteht. Doch statt sich aufzuarbeiten, suchen sie Ersatz. Oft unbewusst. Eine Frau, die das ausgleicht, was ihnen in der alten Beziehung fehlt. Ohne aufzuräumen, ohne Konsequenzen zu ziehen.

Zahlen, die wachrütteln

Diese Geschichten sind keine Einzelfälle. Es gibt klare gesellschaftliche Tendenzen.

Laut einer ElitePartner-Studie haben 31 Prozent der Frauen und 25 Prozent der Männer in Deutschland bereits einen Seitensprung begangen – meist aus emotionaler Unzufriedenheit heraus.

In Deutschland sind rund 16 Prozent der alleinerziehenden Elternteile getrennt lebend – aber noch verheiratet. Viele davon über Jahre hinweg, ohne Scheidung oder klare Trennung.

Im Jahr 2023 gab es in Deutschland 129.300 Scheidungen, aber 351.800 Eheschließungen. Offenbar halten viele lieber an Etiketten fest, als ehrlich mit sich selbst zu sein.

Auch eine US-amerikanische Pew-Studie zeigt: 70 Prozent der Unverheirateten glauben, dass Paare zu lange in schlechten Ehen bleiben.

Diese Zahlen verdeutlichen, dass emotionale Klarheit selten geworden ist. Viele Menschen verharren in Lebensformen, die weder Beziehung noch Trennung sind, und erwarten dennoch neue Intimität und echten Neubeginn.

Die therapeutische Perspektive

In der therapeutischen Arbeit wird deutlich: Die Sehnsucht nach Nähe allein reicht nicht aus, um eine neue Beziehung tragen zu können.

Wer sich nicht innerlich gelöst hat, kann sich nicht neu einlassen.

Die Ehe, ob formell oder emotional, ist ein Commitment. Wird dieser Bund nicht bewusst beendet, bleibt ein Teil des emotionalen Systems gebunden. Auch wenn man längst in getrennten Schlafzimmern schläft. Auch wenn man sich innerlich schon verabschiedet hat.

Typische Sätze sind:

  • „Ich will keine schmutzige Scheidung.“
  • „Ich möchte meiner Frau nicht wehtun.“
  • „Es ist alles so kompliziert wegen der Kinder.“

Ja, Trennungen sind schmerzhaft. Aber eine Nicht-Trennung kann noch viel schmerzhafter sein. Für alle Beteiligten. Auch für die Frau, die neu ins Leben tritt und sich plötzlich in einer Dreieckskonstellation wiederfindet, für die sie nie zugestimmt hat.

Wenn die neue Frau zur Übergangslösung wird

getrennt lebend - aber noch verheiratet

Ein häufiges Muster ist, dass neue Partnerinnen in bereits bestehende Beziehungskonstellationen hineingeraten. Oft werden sie emotional instrumentalisiert, ohne dass es böse Absicht wäre.

Sie werden zur „Frau für das Herz“, während die Ehefrau „die Mutter der Kinder“ bleibt. Oder sie werden zur Affäre, die neue Lebendigkeit bringen soll.

Doch echte Beziehung verlangt Ganzheit. Keine Modulbauweise, kein funktionales Denken.

Wer wirklich lieben will, muss sich vollständig einlassen können. Und das bedeutet auch: mit klaren Verhältnissen, mit geklärten Altlasten und mit einem offenen Herzen statt einem offenen Altvertrag.

Warum Unklarheit so bequem wirkt, aber so zerstörerisch ist

Oft bleibt man lieber in einer Grauzone als sich den Konsequenzen einer echten Entscheidung zu stellen. Ein kompletter Cut fühlt sich bedrohlich an. Die juristische Auseinandersetzung, das finanzielle Risiko, die Reaktionen der Kinder – all das schreckt ab.

Doch aus psychotherapeutischer Sicht ist diese Komfortzone trügerisch.

Wer die Vergangenheit nicht abschließt, trägt sie immer in die nächste Beziehung hinein. Die neue Partnerin wird zur Projektionsfläche alter Themen. Sie soll trösten, verstehen, kompensieren – obwohl sie für den ursprünglichen Schmerz nie verantwortlich war.

Hier kann therapeutische Begleitung helfen, sich ehrlich mit den eigenen inneren Konflikten auseinanderzusetzen. Es geht nicht um Schuld. Sondern um Verantwortung.

Beziehung beginnt mit Klarheit

Die Fähigkeit, neue Nähe zuzulassen, ist eng verbunden mit der Bereitschaft, das Alte wirklich loszulassen.

Beziehungsfähigkeit ist kein romantisches Ideal, sondern eine Form innerer Ordnung. Sie zeigt sich in der Haltung:

  • „Ich habe das Alte beendet, bevor ich etwas Neues beginne.“
  • „Ich übernehme Verantwortung für meine Entscheidungen, auch wenn sie unbequem sind.“
  • „Ich will nicht nur konsumieren oder kompensieren, sondern wirklich begegnen.“

Diese Klarheit wirkt nicht hart, sondern reif. Nicht unromantisch, sondern vertrauenswürdig. Denn sie schafft die Grundlage für echte Intimität ohne Verwirrung, Misstrauen oder emotionale Überforderung.

Perspektivwechsel: Es betrifft nicht nur Männer

Auch wenn hier überwiegend von Männern die Rede ist, gilt es ebenso für viele Frauen. Auch sie bleiben manchmal in alten Bindungen stecken. Aus Angst, aus Schuldgefühl, aus vermeintlicher Rücksichtnahme.

Sie schreiben vielleicht schon mit neuen Männern, obwohl sie innerlich noch an jemand anderem hängen. Oder sie wünschen sich eine neue Partnerschaft, ohne die alte wirklich beendet zu haben.

Emotionale Unverfügbarkeit kennt kein Geschlecht. Deshalb ist nicht entscheidend, wer „formal getrennt“ ist. Sondern wer wirklich innerlich frei ist.

Impulsfragen zur Selbstreflexion

  • Lebst du in einer Beziehung, die du innerlich längst verlassen hast?
  • Bist du (noch) mit jemandem verbunden, der rechtlich oder emotional nicht frei ist?
  • Hoffst du, dass eine neue Beziehung deine inneren Konflikte löst?
  • Vermeidest du eine klare Trennung, obwohl du weißt, dass du nicht bleiben willst?
  • Versuchst du, mit einer halben Bindung ein ganzes Leben zu gestalten?

Abschließende Gedanken aus therapeutischer Sicht

In der systemischen Therapie ist Klarheit ein zentraler Wert. Nicht als moralische Forderung, sondern als Voraussetzung für Beziehung auf Augenhöhe.

Wer sich nicht entscheiden kann, bindet nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Zwischenzustände sind menschlich, aber wenn sie chronisch werden, schaffen sie Unklarheit, Frust und emotionale Verstrickung.

Beziehung braucht Mut: Zur Nähe, zur Entscheidung, zur Verantwortung.
Sie braucht Menschen, die bereit sind, alte Kapitel bewusst zu beenden, bevor sie neue beginnen.
Nicht, weil das einfach ist. Sondern weil nur so etwas Neues wirklich entstehen kann.

Wenn du dich selbst in einer solchen Beziehungssituation wiedererkennst, ob als die Frau dazwischen oder als jemand, der nicht wirklich loslässt, kann es hilfreich sein, gemeinsam Klarheit zu schaffen. Einen Einblick in unsere therapeutischen Ansätze bei CrealaVie und unsere Haltung im Umgang mit Beziehungskonflikten findest du hier auf unserer Website. Wir begleiten dich gerne auf deinem Weg.

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Vielleicht hat dich dieser Text nachdenklich gemacht, vielleicht hat er etwas in dir berührt.

Wenn du gerade in einer herausfordernden Situation steckst oder dich nach Klarheit und innerer Stärke sehnst: Du musst das nicht alleine schaffen.

Manchmal hilft ein geschützter Raum, in dem du einfach sein darfst – mit allem, was ist. Wenn du dir Begleitung wünschst, melde dich gern bei mir.

Ich bin für dich da und begleite dich mit Herz, Fachwissen und ohne Urteil.

Von Herzen,

Deine Anja

team anja sobbe-dippold crea la vie

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